Die Begriffe mis- und disinformation begegneten mir kurz nachdem ich meinen letzten Text zur erodierenden Demokratiekultur in den USA fertiggestellt hatte erneut. Darin schrieb ich unter anderem, wie mich der gegenwärtige Erfolg von gezielter Desinformation und von Verschwörungserzählungen wenig überrascht. Ein Politikproblem – aber auch ein Medienproblem. Dazu gehören unweigerlich auch Podcasts. Bei der Recherche für MIXDOWN, der tägliche Podcast-Newsletter, für den ich jede Woche schreibe, entdeckte ich dann folgenden Bericht:

Rachel Gilmore von Global News aus Kanada berichtete darüber, wie Podcasts zunehmend eine Plattform für mis– und disinformation (gleich mehr zum Unterschied) werden. Das Medium erlaube es Lügen, Behauptungen und Verschwörungserzählungen unkommentiert ein Forum zu bieten. Laut dem Journalisten Justin Ling, der schon länger über Desinformation berichtet, habe dieses Problem schon in den 90er-Jahren unter Radio-Hosts in Nordamerika um sich gegriffen.

Ein prominenter Nachahmer heute sei unter anderem der Verschwörungstheoretiker Alex Jones, der um Lügen und Fehlinformationen ein Geschäft aufbaute: seine Medienmarke InfoWars, inklusive Online-Store. Er profitiert davon, dass Inhalte in Radioshows und Podcasts ohne Kontrollinstanz direkt und ungefiltert bei den Hörern ankommt, wie Ahmed Al-Rawi vom »Disinformation Project« der Simon Fraser University erklärt.

»There’s really no end to how powerful radio can be.«

Justin Ling, Journalist

Authentizität wirkt unmittelbar. Wer diesen Stimmen folgt, kann leicht von anderen Medien entkoppelt werden. So sei es relativ einfach, eine eigene kleine, politische Blase der Desinformation zu bilden – ohne, (da sind sich Ling und Al-Rawi einig,) dass jemand wirklich etwas dagegen unternehmen kann.

Mis- oder disinformation – der Unterschied

Der Unterschied zwischen den Begriffen misinformation und disinformation macht sich allein an der Frage der Intention fest: Wer falsche bzw. fehlerhafte, unvollständige Informationen wiedergibt und verbreitet, ohne dass er dabei jemanden bewusst täuschen möchte, vielleicht zuvor nur die Quellen missverstanden hat, der betreibt misinformation. Das deutsche Äquivalent wäre also die Falschmeldung oder Fehlinformation. Umso gefährlicher dagegen disinformation, im deutschen »Desinformation«: In diesem Fall werden Informationen bewusst verfälscht, falsch kontextualisiert oder sogar erfunden mit dem Ziel, andere zu täuschen und zu manipulieren. (Mehr dazu lest ihr hier.)

Vier Ursachen

Es ist also wichtig, hier die Linie zu ziehen zwischen den beiden Begriffen – wenngleich beide enorm gefährliche Phänomene sind. Valerie Wirtschafter vom Brookings-Institut hat sich diese Gefahren explizit für Podcasts angeschaut: Das Problem beginnt mit der ungefilterten misinformation in Podcast.

»False information can be buried within huge amounts of transcript text and easily missed. This makes podcasting an ideal tool to inject false or misleading information into mainstream discourse while going undetected.«

Valerie Wirtschafter, Brookings

Von über 8000 Episoden, die in der Kategorie News & Politik untersucht wurden, enthielten ungefähr ein Zehntel fehlerhafte oder falsche Informationen. Die Tatsache der signifikanten misinformation, genauso wie die ebenso (prominent) stattfindende desinformation à la Alex Jones habe nach Ansicht von Wirtschafter vier Ursachen, die dem Medium Podcasts innewohnen:

  1. Podcasts sind kommunikative Einbahnstraßen. Anders als in sozialen Medien, kann das Publikum nicht unmittelbar auf Content reagieren. Wenn falsche oder fehlerhafte über Dinge gesprochen wird, kann niemand in einem Kommentar Einspruch erheben.
  2. Podcasts sind ein Heuhaufen. …und die Nadel ist nahezu unmöglich zu finden. Das Monitoring von Content ist bei Audio generell schwierig, aufwendig und teuer. Gesprochenes Wort zu transkribieren in dem Ausmaß, in dem Podcast-Content existiert und produziert wird (knapp 70 Millionen Episoden auf Apple Podcasts, knapp 20 Tausend neue pro Monat!), ist finanziell wie zeittechnisch nicht realistisch. Ganz zu schweigen, alles zu sichten und auszuwerten.
  3. Podcasts‘ Einfluss wurde viel zu lange unterschätzt. Die unmittelbare Beziehung von Host und Publikum ist unfassbar stark. Obwohl Podcasts damit (besonders in Nordamerika) in einer direkten Tradition der Radio-Shows stehen, haben laut Wirtschafter viele diese Wirk- und Bindekraft des Mediums zu lange nicht erkannt.
  4. Podcasts‘ Wachstum wurde viel zu lange unterschätzt. In den ersten zehn Jahren, Anfang des Jahrtausends, sei das Medium eher totgeschrieben worden, als ernsthaft und kritisch begleitet worden. Seitdem sind die Hörerzahlen explodiert:

Allein unter US-Amerikanerinnen und -Amerikanern älter als 35 Jahre sind die Hörerzahlen im vergangenen Jahr um 13% gestiegen.

Infinite Dial 2022

Wie heftig all diese Ursachen heutzutage wirken – eben auch und besonders im Falle von misinformation – macht Wirtschafter am wohl prominentesten Beispiel fest: Der Fall Joe Rogan:

» […] as there remains a strong correlation between listeners of the Joe Rogan Experience and vaccine hesitance.«

Valerie Wirtschafter, Brookings

»The Joe Rogan Experience«

Comedian Joe Rogan ist wohl der weltweit erfolgreichste Podcaster und steht mit seinem Podcast »The Joe Rogan Experience« seit 2020 exklusiv beim Musik-Streamingdienst Spotify unter Vertrag. Es handelte sich um den größten Podcast-Deal aller Zeiten mit einer Rekordsumme von über 100 Millionen US-Dollar, die Spotify an Joe Rogan zahlte. Später berichtete die New York Times sogar von über 200 Millionen Dollar.

Umso schwerer wiegt der Fall: Seit September 2020 veröffentlichte Rogan allein über die Plattform und sähte in seiner Show mit durchschnittlich 11 Millionen Hörern mehrfach Zweifel an der Gefahr von COVID-19 und an der Wirksamkeit von Impfungen gegen das Coronavirus.

© »The Joe Rogan Experience« / Spotify

Anfang 2022 verkündeten die kanadischen Musiker Joni Mitchell und Neil Young, ihre Musik nicht mehr auf Spotify veröffentlichen zu wollen und forderten, ihre Werke von der Plattform zu entfernen. Sie wollen ihre Musik nicht auf einer Plattform bereitstellen, die mis- und disinformation zulasse und unterstütze.

Spotify reagierte Ende Januar 2022 auf die Vorwürfe: Die Plattform installierte Warnhinweise und Weiterleitungen zu Informationen zu COVID-19 an jeder Podcast-Episode, die erkennbar die Pandemie und das Virus thematisierte. Zusätzlich wolle man in Zukunft transparenter mit den zugrundeliegenden Regeln sein, die definieren, welcher Content auf der Plattform gestattet ist, versicherte Spotify-CEO Daniel Ek Ende Januar 2022 auf dem Firmenblog.

»We know we have a critical role to play in supporting creator expression while balancing it with the safety of our users. In that role, it is important to me that we don’t take on the position of being content censor while also making sure that there are rules in place and consequences for those who violate them.«

Daniel Ek, CEO von Spotify

Who’s to blame?

Dieses Vorgehen erinnert stark an die Maßnahmen von Twitter und Facebook im Rahmen der US-Präsidentschaftswahlen. 2020 gaben beide Plattformen bekannt, aktiv gegen Beiträge vorzugehen, die zweifelhafte oder nachgewiesen fehlerhafte Informationen zur Wahl beinhalten. Twitter verbannte sogar bezahlte politische Werbung ganz von der Plattform. Anlass waren u. a. falsche Behauptungen, die der damalige US-Präsident Donald Trump über Briefwahlen verbreitete.

Darüber hinaus ergänzte Twitter im Frühjahr 2020 Kennzeichnungen für alle Posts, die unzureichende oder fehlerhafte Informationen zum Coronavirus enthalten. Nach eigenen Angaben wurden interne Systeme installiert sowie »trusted partners«, also Dritte, beauftragt, diese Posts zu identifizieren.

Ehrlich gesagt: So hoch die Erwartungen an die Plattformen in diesen Fragen sind, was können sie mehr tun, ohne ihr Geschäftsmodell ad absurdum zu führen? Beide Arten von Plattformen – Social Media und Streaming – teilen im Kern die Philosophie, Ideen – seien es Gedanken, Informationen, Kunst oder Musik – und ihre Kommunikation weiter zu liberalisieren und zu demokratisieren.

Konzepte von Filtern und Moderation stehen dieser Idee zwangsläufig erstmal diametral entgegen. Wer der Idee anhängt, Gedanken zu befreien im Sinne von »sie leichter zugänglicher zu machen«, den wird es nicht überzeugen, einen Mechanismus zu etablieren, Menschen in ihren Ausführungen zu zügeln. Podcasts sind da keine Ausnahmen.

»There is less … moderation from the platforms so they feel more empowered, more liberated to say whatever they want.«

Ahmed Al-Rawi, »Disinformation Project« at Simon Fraser University

Es ist eine Einladung, die schwer wieder zurückzunehmen ist. Wer will es Usern verdenken, diese neu gewonnene Macht nicht wieder abgeben zu wollen? Es wäre nicht verwunderlich, wenn sie Plattformen wieder verlassen, sobald Filtersysteme eingesetzt und Content merklich homogenisiert würde. Nicht unwahrscheinlich, dass sie sich gegebenenfalls andere, unregulierte Räume suchen (siehe Telegram). Das gilt auch für Audio.

Vor diesem Hintergrund ist es Unternehmen ebenso schwer vorzuwerfen, diese (erfolgreichen) Geschäftsmodelle möglichst in Reinform weiterzuverfolgen. Umgekehrt muss sie auch niemand dafür lobpreisen, wenn sie z. B. Entscheidungen wie mit Joe Rogan treffen. Zumal die Kontroverse darin oft schon eingepreist ist.

Unternehmen wie Spotify agieren, wie die Reaktion von Ek exemplarisch zeigt, nicht isoliert von sozialem Problembewusstsein. Die Handlungsbereitschaft richtet sich aber eher an anderen Faktoren aus als am Wohlgefallen von Menschen außerhalb der definierten Zielgruppe: Das Publikum von Joe Roegan haben sie schließlich weiterhin auf ihrer Seite. Die Abwägung ging auf.

»The company knew what it was buying, and decided the controversy was worth more than $100 million. It paid him to bring his views and his audience to its service.«

Lucas Shaw, Journalist für Bloomberg

»Spotify is saying they don’t believe in silencing someone who expresses a different point of view. […] But they don’t just give a platform to anyone who wants it – they give a platform to people who are able to make money for them.«

Eric Pliner, CEO of YSC Consulting and author of »Difficult Decisions«. (zitiert von TIME)

Ja, die Kalkulationen sind unternehmerisch. Die Auswirkungen gehen aber über das Unternehmerische hinaus. Die »Verluste« (von sauberer Information) werden hier externalisiert. Wer die Lösung sucht, wird bei den Plattformen wohl enttäuscht werden, bei den Rezipienten dafür umso gefährlicher in den »Lösungsansätzen«.

Lösungen, anybody?

Tatsache ist: Die Problematisierung des Podcast ist absolut berechtigt. Die von Wirtschafter als fehlerbehaftet identifizierten Episoden hatten zum Teil über 1 Millionen Streams. Für auf Algorithmen basierenden Plattformen ist das eine sehr relevante Zahl und der Mechanismus von Streams zu Relevanz eine Einladung für Manipulation mit dem Ziel der politischen Agitation. Das sollte aus sozialen Medien und der russischen An- und Eingriffe in die US-Wahlkämpfe mittlerweile bekannt sein. Misinformation ist ein Medienproblem – also auch ein Podcast-Problem.

»It has the real potential to continue destroying the fabric of not just American democracy but of democracy elsewhere«

Justin Ling, Journalist

Nur was soll die Lösung dafür sein? Misinformation fällt in das Konfliktfeld von Meinung und Wissen. Es qualifiziert sich aufgrund der Fehlerhaftigkeit nicht als Wissen, erscheint aber so. Es ist häufig näher an einer Meinung, begründet diese ggf. sogar, kommuniziert in dieser Hinsicht aber nicht klar. Kurz und plump ausgedrückt: Es ist erstmal Blödsinn – inhaltlich wie argumentativ.

Wer das Problem lösen will, muss auf diesem Konfliktfeld, ähnlich wie in sozialen Medien, erstmal unter diesen Äußerungen sortieren: zwischen rechtens und erträglich, justiziabel und einfach unerträglich. Lösungen können auf beiden Seiten der Trennlinie gesucht werden. Wenngleich ich befürchte, dass nur die eine Seite handfeste wie gefährliche Lösungen verspricht:

Die Justiz. Menschenfeindliche Äußerungen fallen in den Zuständigkeitsbereich der Justiz und können dort zur Anzeige gebracht werden, auch wenn sie auf Online-Plattformen getätigt werden. In Podcasts sind sie dafür sogar sehr gut dokumentiert. Nur: Eine Lüge oder eine Falschinformation sind nicht per se menschenfeindlich oder justiziabel.

Und hier liegt die Gefahr: Wer aus diesem Grund es für erstrebenswert hält, es als illegal und strafrechtlich relevant zu erklären, Blödsinn zu erzählen (so frustrierend das auch ist) der beschreitet einen sehr gefährlichen Weg raus aus jeder freiheitlichen und menschenfreundliche Ordnung.

»That, too, is a unique problem: If Rogan’s audience doesn’t agree that his guests or his rhetoric are problems to begin with, or that his pattern of platforming bigotry and misinformation is an issue, then who’s to say they’re wrong?«

Aja Romano von Vox Media über den Fall Joe Rogan

Derjenige versucht nichts anderes, als die Lösungswünsche von der einen Seite der Trennlinie auf die andere zu verlagern: Die Machtlosigkeit gegenüber dem, was lästig oder schwer erträglich ist, inspiriert oft, den eigenen Maßstab, das eigene Urteil zur Rechtsprechung erheben zu wollen. Darin zeigt sich oft der kleine Funke eines leicht diktatorischen Größenwahns Einzelner in einem Zeitgeist der moralischen Selbstüberhöhung.

Selbst wenn es sich um Desinformation handelt, wie im Falle der russischen Trolle im Präsidentschaftswahlkampf 2016 und der Kommunikation von Donald Trump: Ob politisch motiviert oder nicht – Blödsinn bleibt erstmal Blödsinn. Wer Blödsinn versucht aufgeregt und in der Hochgeschwindigkeit der gegenwärtigen Kommunikation zu sezieren, der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit noch einige andere überlebenswichtige Organe unseres Zusammenlebens versehren.

So kippt die Suche nach einer Lösung oft hinüber zum tückischen wie gefährlichen Wunsch eines Filters, anstatt auf den überlegten richterlichen Hammer oder dem juristischen Skalpell zu vertrauen. Die Anschlussfrage darauf: Wer soll der Filter sein?

Die Plattformen? Valerie Wirtschafter sieht bei Podcast-Plattformen infrastrukturelle Potenziale. Diese Überlegungen scheinen von den Forderungen an sozialen Medien inspiriert zu sein. Die Debatte rund um hate speech und politischer Propaganda in sozialen Medien hat aus meiner Sicht (und verständlicherweise) nur mäßige Erfolge erzielt hat. Umso mehr wundern mich die kopierte Lösungsansätze von Wirtschafter:

Sie schlägt vor, das Publikum solle mehr eingebunden werden, z. B. durch Kommentare. Die Hörer sollen nicht nur Konsument, sondern zugleich Supervisor sein. Die Möglichkeit, auf Content zu reagieren, wirke also wie ein auf Schwarmintelligenz ausgelegtes fact-checking. Diese Überlegung zeigt eigentlich schon die Hilflosigkeit, die gegenüber Plattformen ausgedrückt wird. Tatsächlich: Spotify scheint über eine Kommentarfunktion nachzudenken. (Einzelne Tweets lassen zumindest darüber spekulieren.) Sollte es so kommen, die infrastrukturellen Möglichkeiten im Einklang mit der Unternehmensphilosophie dürften spätestens damit (für den Moment) ausgeschöpft sein. Am Ende steht und fällt auch diese Lösung mit den Rezipienten.

Zur Vollständigkeit: Valerie Wirtschafter forscht noch ausführlicher zu dem Thema. In diesem Text wird explizit nur auf ihren Artikel aus dem August 2021 Bezug genommen. Sie veröffentlichte jedoch noch einige weitere Artikel, hier zusammengestellt auf ihrem Blog. Einen Artikel aus dem April 2022 über weitere Empfehlungen, wie Podcast-Content moderiert werden kann, auch bzw. gerade im Spannungsfeld von Moderation und Zensur lest ihr zum Beispiel hier.

Die Rezipienten? Die Hoffnung auf die Hörerschaft und besonders die Kommentarfunktion als Kontrollmechanismus ist wenig überzeugend – wirkt sie schon auf anderen Plattformen eher amplifizierend als ordnend. In der vergifteten Atmosphäre, in der mittlerweile zwischen sozialen und politischen Lagern kommuniziert wird, ist quasi-anonymisierter trash talk fern von jedem fact-checking, zumal misinformation – oft in Form von mehr Meinung als Wissen – auf beiden Seiten des politischen Spektrums die lautesten Stimmen sind. Es ist ein politisches Problem, das Plattformen wie Spotify und Medien wie Podcasts verstärken können, folgen sie konsequent ihrer unschuldigen, freiheitlichen Ursprungsidee. Beide stecken somit hilflos in den Dilemmata dieser eigenen Philosophie fest, wenn es darum geht, entgegenzuwirken, die Lautstärke, nicht den Inhalt zu regulieren, um Dinge zu ordnen.

Journalisten? Sie werden einsehen müssen, dass im recht jungen Medium Podcast keine Hoheit zu gewinnen ist. Selbst wenn renommierte und verlässliche Medienhäuser den Kampf um Podcasts mit eigenen Formaten aufnehmen – sie nehmen lediglich teil. Ich denke, in diesem Informationskrieg werden sie keine Landgewinne erzielen können, sondern im besten Fall ihre Stellungen halten und Schlimmeres hoffentlich verhindern.

Desinformation bleibt ein Gesellschaftsproblem

Hier schließt meine Position an meinen vorausgegangenen Artikel. Wahrheit liegt in Hand, Auge und Verstand des Rezipienten – und dort allein. Wenn es dort nicht verfängt, sich Menschen sogar weiter abwenden, werden Zeigefinger und »Brandmauern«, wie sie oft beschworen werden, noch weniger erreichen. Wenn Politik keinen mehrheitsinklusivem Diskurs, d. h. an dem die Mehrheit teilnehmen kann und will, entwerfen und organisieren kann, und Journalismus diese Linien (durchaus im Sinne ihres Auftrags) nachzeichnet, es aber nicht schafft, sie auszubessern, dann sollte sich niemand über diese neuen Echokammern wundern.

»This is the consequence when people have totally not just lost faith in the media apparatus, but have become openly hostile to it.«

Justin ling, journalist

Die regulatorischen »Brechstangen« einer politisch motivierten und definierten Verschärfung der Rechtsprechung und/oder Plattformjustiz sind bedenklich und wenig erstrebenswert. Seit wann wollen freiheitliche, demokratische Gesellschaften Diskurs und die Handhabung über Wahrheit, Information und Meinung von wenigen Entscheidungsträgern zuschneiden lassen?

Technisch dürfte es irgendwann möglich sein, aus heutiger Sicht unfassbar große Datenmengen in Podcasts durch Speech-to-Text-Programmen gezielt auf Signalwörter und Muster zu untersuchen und zu zensieren. Nur gerade dann, wenn diese Möglichkeiten effizient genug umgesetzt werden können, sind Rezipienten und User in ihrer Freiheit umso schützenswerter.

Bürger sollten, in der Rolle von Usern und auch inmitten des Online-Lärms, ihre Autonomie in ihren Äußerungen bewahren – so unsinnig sie ausfallen und so schmerzhaft die aktuellen Zersetzungsdynamiken wirken. Diese Auseinandersetzung wird nicht regulatorisch gewonnen.

»This is happening. You can’t regulate this away. You can’t tamp this down«

Justin Ling, Journalist

»I believe it’s impossible — there is no way you can regulate fake news or disinformation.«

Ahmed Al-Rawi, »Disinformation Project« at Simon Fraser University

Es daher einerseits ermutigend, andererseits ernüchternd: Ling und Al-Rawi dürften richtig mit ihrer Einschätzung liegen, dass es keine wirkliche, erwägenswerte, praktische Lösung für dieses Problem gibt. Gibt es eine weniger praktische, eher humanistische Lösung für dieses Problem? Das bleibt wohl die Millionen-Dollar-Frage, deren Antwort niemand hören will …