Es ist nun eine Weile her, dass ich hier ein paar Zeilen geschrieben habe. Die Frage ist also berechtigt, wie häufig und in welcher Form ich hier in Zukunft publizieren werde. Ich möchte diese Notizen nun nutzen für ein Resümee, eine Reflexion und eine Kurskorrektur: Was nehme ich mit aus einem Jahr auf Reisen? Was mache ich daraus? Worüber möchte ich schreiben, wie wird es mit Stimmenleben weitergehen?

Resümee

Ein Jahr auf Reisen. In Schweden angelte ich meinen ersten Hecht. In der Toskana teilte ich mir ein Dorf in den Weinbergen des Chianti mit zehn Menschen und drei Katzen und kochte mir starken Espresso auf einem Gasherd. Ich fuhr bis nach Kroatien, sonnenbadete auf einem Felsen ganz für mich allein und sprang von dort ins klarste Wasser, das ich je gesehen habe. Im Herbst konnte ich endlich nach Kanada einreisen, lernte eine schlummernde Kunst- und Theaterstadt von einer ganz anderen Seite kennen, in einer Bar, wie sie Billy Joel nicht schöner hätte besingen können. In Québec entdeckte ich Spaziergänge bei Minus 26 Grad als Wohltat. In Alberta erfüllte ich mir den Lebenstraum vom Skifahren in den Rocky Mountains.

Schreiben. Das habe ich nicht aufgegeben. Ich habe es versucht so konstant zu praktizieren, wie möglich, auch wenn hier die Texte sehr sporadisch erschienen. Für mich ist klar: Schreiben soll mein Beruf sein. Die Wohltat des letzten Jahres war nicht nur die brutalere und erbarmungslosere Konfrontation mit mir allein. Gleichzeitig war es auch der empfundene Luxus der Zeit, mich mit allem so ausführlich zu beschäftigen, wie es mir gerade beliebte. Diesen Luxus des Entdeckens möchte ich ungern wieder aufgeben. Für ihn lohnt es sich zu arbeiten. 

Die Frage ist nun: Wie? 

Reflexion

Das Wie reicht sich hier die Hand mit dem Was und der Frage des Inhalts: Was mache ich aus dieser Erkenntnis? Über was möchte ich schreiben? Was ist (m)ein Stimmenleben heute? 

So sehr es seinen Ursprung bei meiner eigenen Stimme genommen hat, so sehr hat das Gehör in diesem Jahr auch äußere Bezugspunkte gesucht: Die Konfrontation mit mir, war immer auch eine Konfrontation mit Dingen, die mir begegnen und auf mein Interesse gestoßen sind. Ich habe begonnen, für die Konzepte von Interesse und Faszination wieder eine Sprache zu entwickeln. Vielleicht hatte ich sie auch nur vergessen und nun begonnen, sie neu zu lernen, wie eine Fremdsprache, wo ich die Lehrbücher nach langer Zeit entstaube…

Ich will reisen.

Besonders der Norden fasziniert mich. Umso mehr noch nach meinen Reisen in Schweden, Norwegen und Kanada. Es ist die Kälte, die Kargheit, das Unberührte. Wo das Auge auf den ersten Blick nicht viel erfasst. Dort möchte ich noch genauer hinsehen – und vor allem hören. Stimmenleben wird eine Erforschung meiner eigenen Beweggründe sein, was genau mich nach Norden zieht.

Bei Minus 26 Grad zu wandern, war Erlebnis und Experiment zugleich. Es schärfte die Selbstwahrnehmung, welche Signale der eigene Körper und der Kopf unter extremen äußeren Bedingungen sendet. Sei es der eigene abflachende Atem in messerscharfer Frischluft. Seien es die bis zur Taubheit aufgeheizten Muskeln. Meine kleinen Wanderungen waren weit, weit entfernt von den Grenzerfahrungen einer Polar-Expedition – den Reiz daran haben sie aber leise in mir gesetzt. Es hat mich neugierig gemacht, meine Grenzen noch weiter auszutesten und mehr darüber zu lernen, wie natürliche Grenzerfahrungen eine Perspektive verändern können. 

Der Norden ist weit und bevölkerungsarm. Er ist die topographische Konfrontation mit Stille, mit Einsamkeit, vielleicht auch mit sozialer Genügsamkeit. Ich möchte wissen, wie Menschen ihren Blick auf Individuum und Gemeinschaft, auf Land und Menschen und auf die Welt als Ganzes verändern, wenn der soziale Horizont aus natürlichen Gegebenheiten auf wenige Menschen und Reizpunkte beschränkt ist. 

Ich will forschen, recherchieren und verstehen. 

Stimmenleben wird zugleich eine Rückkehr zur politischen und gesellschaftlichen Forschung werden. Ich hätte jetzt zu diesem Zeitpunkt Student in Island sein können, schlussendlich fiel die Entscheidung (erstmal) dagegen. Nichtsdestotrotz ertappe ich mich bei einem inneren Drang, mich wieder mehr mit Wissenschaft und Zeitgeschichte zu beschäftigen. Die Faszination des Nordens entfaltete sich in einer ungemeinen Komplexität, die ich allein durch das Reisen nicht bewältigen werde. 

Sie sucht sich stattdessen einen Bezugspunkt, einen Forschungsgegenstand: Meine Faszination gehört gerade der Arktis. Wer aktuell über Versorgungsengpässe von Roh-, Brenn- und Treibstoffen spricht, der stelle sich vor, wie es ist, ein ganzes Leben nach strengen Rationen ausrichten zu müssen, mit der Garantie, in manchen Jahren am Rande der Lebensgefahr improvisieren zu müssen. Ein Leben hinter dem Polarkreis ist in jeder Hinsicht anderen Variablen, Überlegungen und Organisationsstrukturen unterworfen. Treibstoff für die Wärme- und Stromversorgung, Lebensmittel, Medikamente – alles hängt von wenigen Schiffsladungen pro Jahr ab. Fällt eine Schiffsladung aus, wird es schon gefährlich, fallen mehrere aus, müssen ganze Gemeinden evakuiert werden. Wie sehen vor diesem Hintergrund Entscheidungsprozesse in der Arktis aus? Wie und in welchem Kreis wird abgewogen?

Umgekehrt ist die Arktis schon lange nicht mehr abgekoppelt. Der Globalisierung dürften sie einerseits verdanken, unter diesen Bedingungen Leben und Forschung zu organisieren. Der Globalisierung dürften sie allerdings ebenso alte wie neue Gefahren verdanken. Seit Jahrzehnten ist das Polareis die Sanduhr für das Fortbestehen allen Lebens auf diesem Planeten. Der gefährliche Ruf, der Norden sei unbezwingbar, schmilzt gleich mit. Wasserstraßen sollen in naher Zukunft passierbar werden. Unter dem schmelzenden Eis werden neue Schlachtfelder freigelegt, wo russische U-Boote schon künftige Schützengräben in der See ausheben und abfahren. Kanadische Landjäger lernen ganz neue Grenzen ihres eigenen Landes kennen, um sie zu schützen. Europäische und US-amerikanische NATO-Truppen üben nicht mehr nur bei Plus 40 Grad im nahen Osten, sondern auch bei Minus 40 Grad im hohen Norden den Ernstfall. 

Ich bin mir sicher: Wir werden aus dem Norden in Zukunft mehr hören. Dafür möchte ich das Gehör schärfen.

Ich will rezensieren und einordnen, was ich lese, sehe und höre. 

Ein häufige Frage, die mir gestellt wurde: »Was machst du die ganze Zeit allein unterwegs?«

Lesen. Größtenteils Artikel und Essays im Netz, aber auch die Lektüre, die ich dabei habe. Mein Studium hat mir (leider) das bewusste und umfassende Lesen abtrainiert. Hingegen wurde ich konditioniert, einen Text in seine Einzelteile zu zerlegen und nach den wenigen, zentralen Aussagen zu scannen. Prosa wurde daher zu einem sehr schnöden und freudlosen Unterfangen. Der Sinn für einen Text als Ganzes kehrt aber langsam zurück. 

Sehen. Einerseits habe ich versucht, jeden Ort an dem ich war, blieb oder vorbeikam mal effizient, manchmal zielloser zu erschließen. Ein Trainingslager zum bewussten Leben und Beobachten. Andererseits ist mein Medienkonsum in dieser Zeit massiv gestiegen, besonders an Berichten, Reportagen und Dokumentationen. Beobachten reicht da nicht aus. Um ihnen etwas mehr abzugewinnen als Zeit, will ich noch aufmerksamer…

Hören. Vor allem Podcasts. Dieses Medium schlägt in einer revolutionären Art und Weise seit wenigen Jahren eigene, neue Pfade zu Inhalten, zu Gedanken und Ideen. Und wer sich fragt, was ich in den letzten Monaten getrieben habe: Noch mehr Podcasts gehört und darüber geschrieben. Das Medium hat mich so vereinnahmt und begeistert, dass ich jetzt mit deutschen Podcast-Experten zusammenarbeiten darf. 

Wo ich zu hören bin? 
Seit März diesen Jahres schreibe ich für MIXDOWN – den ersten täglichen Branchen-Newsletter in deutscher Sprache über Podcasts, herausgegeben von Podstars by OMR. In MIXDOWN lest ihr aktuell an zehn Tagen im Monat von mir über die weltweiten Podcast-News. Meine Podstars-Kollegin Denise – die Schöpferin von MIXDOWN – informiert an den restlichen Tagen sehr unterhaltsam und lesenswert. Sind unter euch Leserinnen und Lesern Podcast-Fans, lohnt sich ein Abo allemal.

Diesen Luxus der eigenen Gedankendosierung möchte ich mir erhalten. Dosierung heißt hier aber auch: Beschallung darf nicht Betäubung werden. Den Kopf mit Reizen zu fluten ist das eine, neue Wege freizulegen und ihnen nachzugehen das andere. Es braucht einen entschleunigenden Mechanismus der Übersetzung, von Rezeption zu Rezension, von Inhalt zur Auseinandersetzung. Die Sprache, die ich gerade wieder neu lerne, soll in Zukunft wieder dazu taugen, Eindrücke zu dokumentieren, Linien zu ziehen, Fragen zu stellen, eigene Gedanken zu entwickeln.

Kurskorrektur

Wie geht es also weiter mit Stimmenleben? Inhaltlich war das Feld bisher nicht klar abgesteckt, und wird auch weiterhin sehr weit gefasst sein. Die Reflexion hat nur ein ungefähres, mögliches Spektrum erschlossen. Viel deutlicher stellt sich für mich die Frage der Methodik: Wie will ich weiterhin an Stimmenleben arbeiten?

Ein Blick auf meine bisherige Arbeit gab mir da einen deutlichen Wink: Irgendwie sind Newsletter mein Ding. In der Politik, in der Technologieberatung, jetzt bei Podstars – das Format Newsletter lebt und es läuft mir immer wieder über den Weg. Es ist immer wieder zu mir zurückgekehrt, wann immer ich weitergezogen bin. Es wurde mir mitunter angetragen. Als wohl einzige Komponente meines Lebens verursachte es bei mir zu keiner Zeit größeres Kopfzerbrechen. Kann ich frech behaupten, doch ein Handwerk gelernt zu haben? 

Mit der ähnlichen Ruhe und Routine eines Gesellen kann ich zumindest (für den Moment) eine relativ deutliche Antwort auf eine Frage geben, die an dieser Stelle unweigerlich und ausgesprochen im Raum steht: Ich starte (vorerst) keinen eigenen Newsletter. Dazu fehlen mir drei wesentliche Komponenten des Formats: Inhalt, Aktualität und vor allem Regelmäßigkeit. Wer noch keine konkrete Idee davon hat, über welche Inhalte er denn nun regelmäßig schreiben wird und kann, die zugleich aktuell und relevant sind, sollte sich auch keinen neuen Newsletter aus der Rippe schneiden.

Vielmehr leite ich einen Anspruch für meine Arbeit an Stimmenleben ab: Ich möchte hier regelmäßiger und komprimierter schreiben. Weiterhin über das, was ich höre und was mir begegnet, über einzelne bemerkenswerte Stimmen, die ich in der letzten Zeit gehört, gesehen oder gelesen habe – auf Reisen, in der Forschung, in der Politik, Podcasts, Literatur, Film und Fernsehen. Soweit nicht wirklich Neues (also auch kein Newsletter), aber ein regelmäßiger Aufschrieb, was bei mir Neues hängen geblieben ist. Ist das ein Anfang?